Technologiesouveränität für Deutschland und Europa. Von der Forderung zum Konzept

Nicht erst seit der Corona-Krise wird deutlich, wie wichtig technologische Wettbewerbsfähigkeit und Unabhängigkeit für Europa sind. Wachsende geopolitische Unsicherheiten und drohende globale Handelskonflikte stellen über Jahrzehnte gewachsene Handelsbeziehungen zunehmend in Frage. Auch die Debatte um die Einführung des 5G-Standards zeigt beispielhaft, dass eine Diskussion geführt werden muss, wie unabhängig Deutschland und Europa in Bezug auf unabdingbare Technologien sein müssen und sein können. In einem Positionspapier stellt das Fraunhofer ISI einen differenzierten Analyseansatz vor, um die Kritikalität von Technologien und den Grad an Technologiesouveränität auf nationaler und internationaler Ebene zu bestimmen. Die Anwendung dieses Konzeptes kann die Basis sein für angepasste, situationsgerechte Strategien zur zukunftsfestigenden Sicherung von Technologiesouveränität.

Das Positionspapier »Technologiesouveränität - Von der Forderung zum Konzept« stellt einen Analyseansatz vor, mittels derer die Frage beantwortet werden kann, ob eine bestimmte Technologie für einen Staat oder Staatenbund kritisch, im Sinne von unabdingbar, ist und was daraus folgt. Zu den zentralen Fragen der Analyse zählen unter anderem: Wie kritisch ist eine Technologie, und warum? Wie hoch ist Abhängigkeit von Dritten und welche Risiken ergeben sich daraus? In welchen geopolitischen Grenzen soll eine Technologiesouveränität erreicht werden? Gibt es Alternativen, die die Technologie im Zweifel ersetzen könnten? Könnte der Zugang zu zentralen Ressourcen von externen Schocks bedroht werden? Wie ausgeprägt ist die eigene technologische Kompetenz?

Neben der Vorstellung von Methoden, um diese Fragen zu beantworten, schlägt das Positionspapier eine Reihe von strategischen Optionen vor, um mehr Technologiesouveränität zu erlangen.

Was ist Technologiesouveränität?

Technologiesouveränität ist die Fähigkeit eines Staates oder Staatenbundes, die Technologien, die er für sich als kritisch für Wohlfahrt, Wettbewerbsfähigkeit und staatliche Handlungsfähigkeit definiert, selbst vorzuhalten, weiterzuentwickeln oder ohne einseitige strukturelle Abhängigkeit von anderen Wirtschaftsräumen beziehen zu können.

Technologiesouveränität vielschichtig und differenziert betrachtet

»Der zunehmend lauter werdende Ruf nach Technologiesouveränität, verstärkt durch aktuelle Krisen und geopolitische Verschiebungen, steht in einem Spannungsverhältnis zur global vernetzten Wirtschaft als Garant des Wohlstandes, gerade für Europa und Deutschland«, sagt Jakob Edler, Geschäftsführender Institutsleiter des Fraunhofer ISI. »Der Mehrwert unserer Konzipierung liegt darin, dass sie Technologiesouveränität differenziert betrachtet und konkrete Vorschläge zu ihrer Analyse macht. Diese Differenzierung bezieht sich auf die aktuelle wie künftige Kritikalität genauso wie auf die Motivation, Souveränität herzustellen und zu etablieren.«

Durch das Zusammenspiel dieser Dimensionen könne der aktuelle und gewünschte Grad an Technologiesouveränität situationsgerecht bestimmt und gegebenenfalls Strategien für den Erhalt oder die Herstellung von Technologiesouveränität entwickelt werden.

 

Illustration: Technologiesouveränität am Beispiel des 5G-Standard

Angesichts der hohen Integration und des Nutzens für den Binnenmarkt sollte die EU der Bezugsrahmen für die Analyse der Technologiesouveränität sein. Am Beispiel des 5G-Standards lassen sich auch die Dimensionen illustrieren, die in einer Analyse vertieft zu betrachten sind.

Mit Huawei und ZTE liegen zwar viele Patente bei chinesischen Unternehmen, in Europa sind aber zwei zentrale Elemente für die Erreichung von Technologiesouveränität gegeben: erstens gibt es hier eine dynamische Wissensbasis, die unter anderem intensiv an Alternativen für Teilkomponenten der 5G-Technologie arbeitet. Zweitens beheimatet Europa eigene industrielle Produktionsstätten, etwa bei den weltweit führenden europäischen Herstellern Nokia und Ericsson mit einer Reihe von etablierten Zulieferern.

Zudem bietet der Weltmarkt langfristige Alternativen zu den chinesischen Herstellern. Eine Konzentration der Diskussion über Technologiesouveränität für 5G auf die Rolle von Huawei und die Abhängigkeit von China greift daher zu kurz. Der Ausbau von Lieferbeziehungen zu Herstellern anderer Staaten und der gezielte Aufbau eines europäischen Innovationsökosystems erscheinen als geeignete Option, um robust konfigurierte Innovationsnetzwerke zu 5G-Technologien in der EU zu etablieren.

Deutlich wird am Beispiel der 5G-Illustration: Erst eine differenzierende und systematische Betrachtung eröffnet einen erweiterten Diskussionsraum für die Entwicklung geeigneter Strategien zum Umgang mit Technologiesouveränität. Eine solche Betrachtung bietet das vorliegende Positionspapier an.

Das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI analysiert Entstehung und Auswirkungen von Innovationen. Wir erforschen die kurz- und langfristigen Entwicklungen von Innovationsprozessen und die gesellschaftlichen Auswirkungen neuer Technologien und Dienstleistungen. Auf dieser Grundlage stellen wir unseren Auftraggebern aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft Handlungsempfehlungen und Perspektiven für wichtige Entscheidungen zur Verfügung. Unsere Expertise liegt in der fundierten wissenschaftlichen Kompetenz sowie einem interdisziplinären und systemischen Forschungsansatz.

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