Die Dekarbonisierung und der digitale Wandel werden die Automobilwirtschaft in den kommenden Jahren stark verändern und damit an den Grundfesten der wichtigsten Branche Deutschlands rütteln. Erst vor kurzem hat die Europäische Union entschieden, dass ab 2035 keine Verbrenner mehr auf Europas Straßen zugelassen werden dürfen. Für die Branche mit ihren rund 3,26 Millionen Beschäftigten in Deutschland bedeutet das einen radikalen Wandel. In einer neuen Studie hat die IW-Tochterfirma IW Consult im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) 40 von 401 Kreisen und kreisfreien Städten identifiziert, die besonders stark von dem Wandel betroffen sein werden. Die Studie »Wirtschaftliche Bedeutung regionaler Automobilnetzwerke in Deutschland« zeigt, welche Regionen in besonderem Maße von der Automobilwirtschaft geprägt sind, in welchen Regionen schon heute Unternehmen und Beschäftigung in den drei Chancenfeldern Elektrifizierung, Automatisierung und Vernetzung aufgebaut werden und wo weitere Neuinvestitionen geplant sind. Das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO hat eine vertiefte Netzwerkanalyse der betroffenen Regionen durchgeführt, um aufzuzeigen, wie durch Vernetzung und Kooperation Synergien geschaffen werden können.
Transformation wird für Verbrenner-Regionen besonders schwierig werden
Die Wirtschaft in den 40 Regionen konzentriert sich größtenteils auf den konventionellen Antriebsstrang einschließlich aller daran hängenden Komponenten wie zum Beispiel der Abgasreinigung. Von den knapp 260 000 Beschäftigten in diesem Bereich arbeiten allein in den 40 besonders betroffenen Regionen etwa 140 000 Menschen, also rund die Hälfte. Gerade in Schweinfurt, Salzgitter, Bamberg und der Saarpfalz-Kreis wird das deutlich: Hier arbeitet mehr als jeder zehnte Beschäftigte in diesem Segment. Bis heute ist der Verbrenner für diese Regionen vor allem ein Motor für Wachstum und Wohlstand, gemessen an Produktivität und der Arbeitslosenquote schneiden die 40 Kreise besser ab als der Durchschnitt. Während die Transformation für die Verbrenner-Regionen besonders schwierig wird, dürfte sie etwa Ingolstadt, Wolfsburg und dem Bodenseekreis leichter fallen. Die drei Kreise beschäftigen sich schon heute viel mit Elektrifizierung, Automatisierung und Vernetzung.
Synergien schaffen durch Kooperation und Vernetzung
Damit die deutsche Automobilwirtschaft nicht den Anschluss verliert, müssen die richtigen Weichen für die Zukunft gestellt werden. Unter anderem müssen sich die Beschäftigten aus- und weiterbilden. Es gilt, Standortfaktoren zu verbessern, um den ansässigen Unternehmen unter die Arme zu greifen.
Aber auch untereinander können sich die 40 Kreise unterstützen, wie Studienautor Hanno Kempermann von IW Consult sagt: »Wenn die Regionen ihre Kräfte bündeln und miteinander kooperieren, können die Herausforderungen besser gemeistert werden. Unsere Studie hat deutlich gezeigt, dass es unter den 40 Kreisen Regionen gibt, die vor sehr ähnlichen Problemen stehen. Gemeinsame Forschung oder der bloße Austausch von Erfahrungen schaffen Synergien.«
Themenbezogene Cluster und Netzwerke seien wichtig für den Austausch zwischen Unternehmen und Wissenschaft für die Regionen, weil sie die Zusammenarbeit zwischen den lokalen Akteuren intensivieren, wissenschaftliche Erkenntnisse einbeziehen und somit gemeinsam auf automobile Trends reagieren können. Durch die vertiefte Netzwerkanalyse konnte das Fraunhofer IAO insgesamt 220 relevante Cluster und Netzwerke sowie 135 Transfer- und Forschungseinheiten identifizieren, die direkt oder indirekt mit den besonders betroffenen Regionen zu tun haben. Die Verteilung, Themen und Reichweite der Netzwerke und Cluster variiere dabei stark wie Dr. Thomas Potinecke, Mitautor vom Fraunhofer IAO, beschreibt: »Regionen in Baden-Württemberg, insbesondere Stuttgart und der Landkreis Ludwigsburg, verfügen über starke Netzwerke mit hoher Reichweite, in denen Zukunftsthemen bereits gemeinsam bearbeitet werden. In anderen Regionen wie Northeim in Niedersachsen können Unternehmen hingegen nur in geringem Ausmaß auf Netzwerke zurückgreifen.« Aus Sicht des Forschungsteams benötigen insbesondere kleine und mittlere Unternehmen (KMU), Unternehmen mit Fokus auf traditionelle Antriebe und Unternehmen im ländlichen Raum noch gezielte Maßnahmen, da sie weniger Freiheitsgrade aufweisen können und unter einem erhöhten Anpassungsdruck stehen.