First-Science-KIT: IAO-Blogreihe zum Corona Krisenmanagement
First-Science-KIT: Blogreihe zum Corona Krisenmanagement
Die Coronakrise fordert von uns allen ganz neue Herangehensweisen und Lösungen im beruflichen Miteinander. Das Fraunhofer IAO hat deshalb eine Blogreihe gestartet, mit der wir schnell anwendbare Praxistipps weitergeben, gut funktionierende Beispiele vorstellen und Lösungswege während und aus der Krise aufzeigen wollen.

Jetzt in der siebten Woche einer der maßgeblichsten Veränderungen unserer Arbeitswelt in der Corona-Phase haben wir uns ganz gut eingeschwungen in hochgradig virtualisierte Arbeitsformen und Kooperationsbeziehungen. Wir gewöhnen uns langsam daran auf andere Kommunikationsformen jenseits der internen Zusammenarbeit im Jour fixe in der konkreten Projektarbeit zurückzugreifen. Wagen neue Formate und Interaktionen auch mit externen Partnern, entwickeln virtuelle Messe- und Konferenzformate und sehen der Realität ins Auge, eventuell noch über einige Monate hinweg z.B. auch neue Mitarbeitende vornehmlich über Telemedien einstellen und »onboarden« zu müssen. Ich bin deshalb davon überzeugt, dass wir eine Kompetenz aufbauen müssen, die man mit dem Begriff der medialen Inszenierungskompetenz umschreiben kann. Ich weiß, dass dieser Begriff im Business-Kontext etwas merkwürdig wirken kann. Doch er hat viel Erklärungskraft für das, was ich damit gerne zum Ausdruck bringen möchte.

Inszenierung – untrennbar mit dem Theater verbunden

Wir alle assoziieren mit dem Begriff der Inszenierung den des Theaters – und das macht ihn für mich in einigen relevanten Schlüsselkonstrukten beruflicher Interaktion hoch anschlussfähig. Die Theaterwelt kennt Bühnen, die man betritt, um spezifische Wirkungen zu erzeugen. Schauspieler, die in definierte und bekannte Rollen schlüpfen, wobei immer klar ist, dass Rollen und der dahinterliegende Mensch nicht das Gleiche sind. Wir alle wissen – Inszenierungen folgen bestimmten Stilen – und sie haben in der Regel einen Regisseur, der dafür sorgt, dass Beteiligte, Bühnenbild, Requisiten, Timing und Sprache wie Bühnentechnik ein gelungenes Ganzes ergeben. Und ja, es gibt minutiös einstudierte Stücke – aber auch Improvisationstheater.

Die Metapher des Theaters hilft bei Analyse und Gestaltung

In der systemischen Organisationsarbeit wird viel mit der sogenannten Theatermetapher gearbeitet, um berufliche Gruppensituationen zu analysieren und sie unterstützt dabei das Aufdecken von spezifischen Dynamiken, Machtkonstellationen und individuellen Handlungsmustern. Die Theatermetapher unterstützt die Abstraktion und sie schärft den Blick für die komplexe Interaktion, aber auch für deren Gestaltungsfähigkeit – und die Professionalisierungsnotwendigkeit im Umgang damit. Denn auch das kennen wir alle als private Kulturbürger – schlechte Inszenierungen, unsichere oder schlecht besetzte Schauspieler, eine unzureichende Akustik, Ausleuchtung … was unser Durchhaltevermögen schon beim Zugucken abbaut. Oder eben das Gegenteil. Und ja, Sie ahnen es: Wir sind in diesem Bild ganz nah an den virtualisierten Bühnen der kommunikativen Begegnungen in der heutigen Arbeitswelt. Mit dem Unterschied, dass die strenge Trennung von Zuschauer und Darsteller hier nicht mehr durchgehalten werden kann. Denn unsere virtuellen Arbeitsräume sind letztlich nichts anderes: Sie bringen themen- und formatspezifisch Menschen in dedizierten Rollen auf Bühnen der Begegnung – und produzieren dabei höchst unterschiedlich gelungene Inszenierungen.

Die virtualisierte Arbeitswelt braucht professionellen Umgang mit Kommunikationsbühnen

Was mich direkt zur Kernhypothese des Beitrags bringt. Meine Grundthese begründet sich bereits auf der schieren Menge an Zeit, die wir alle gemeinsam in diesen Kommunikationssituationen verbringen. Wir vom Fraunhofer IAO haben schon vor Jahren ermittelt, dass der durchschnittliche Wissensarbeiter annähernd zwei Drittel seiner Arbeitszeit mit kommunikativen Tätigkeiten verbringt – in der Zeit nach Corona und angesichts der breit ansteigenden Nutzung synchroner Teamconferencing-Plattformen wird die synchrone »Bühnenzeit« auf virtuellen Teamplattformen deutlich zunehmen. Und wir merken es ja: die nächste Telko, der dringende Skype-Call, die x-te Webex-Konferenz und das virtuelle Einstellungsgespräch sind zunehmend selbstverständlicher Bestandteil unseres Arbeitstags. Und dort sehen wir selbst jeden Tag: Es gibt brillante Performer und mediale Naturtalente, aber auch viele, die mit der Kamera fremdeln und am liebsten im Grau der Tapete verschwinden. Es gibt CI-konforme und ästhetisch ansprechende Bildschirmhintergründe genauso wie schlecht ausgeleuchtete Besprechungssituationen, die die Mimik eher ahnen lassen. Die Anzahl der Beiträge in aktuellen Publikationen, die sich mit den Erfahrungen in der Betrachtung unfreiwillig geteilter Einsichten ins private Wohn-, Schlaf- oder Esszimmer beschäftigen, kann auch als Beleg für unseren geringen Reifegrad in der Gestaltung unseres Bühnenbilds herangezogen werden. Es gibt souveräne Moderatoren und kluge Mini-Dramaturgien von Online-Workshops und Webinaren – und solche, die an Einfallslosigkeit nicht zu toppen sind. Wir alle erleiden täglich den Stress, der von schlechter Audioqualität oder langatmigen Dauermonologen in Online-Besprechungen ausgehen kann. Wir fürchten uns mit Recht ein wenig davor, die Teilnehmenden in solchen Situationen zu »verlieren« und damit die eigene Botschaft nicht vermitteln zu können. Gar nicht zu denken an die Qualitätsunterschiede in Darbietungen, die womöglich karriereentscheidend sind: Das entscheidende Bewerbungsgespräch oder, wie letzte Woche im WI-Verteiler der Wirtschaftsinformatiker beschrieben, die Online-stattfindende Probevorlesung für das nächste Berufungsverfahren am Lehrstuhl.

Wir werden uns nicht auf die Zuschauerbänke zurückziehen können

Im Unterschied zum Dasein als Kulturbürger werden wir uns in der Arbeitswelt leider nicht einfach auf den Zuschauerplatz zurückziehen können. Ich bin überzeugt davon, dass neben dem rein technischen Bedienwissen zum Umgang mit all diesen virtuellen Plattformen eben auch genau diese mediale Inszenierungskompetenz dazukommen muss. Die sich auf mein eigenes Bühnenbild, meinen eigenen Auftritt, aber auch meine Interaktion mit den anderen Beteiligten, den Spannungsbogen und reibungsfreie Nutzung aller möglichen »Bühnentechniken« beziehen muss. Die dediziert auch verschiedene Rollen besetzt und choreographiert. Und ja: ich habe in meinem letzten Blogbeitrag auch kurz erwähnt, wie schnell man heutzutage die Bühne wechseln kann und muss – bis 10.58 im Projektmeeting mit Kunden, ab 11.05 mit leichter Verspätung im englischsprachigen Projektteam. Vielleicht sollten wir auch über eine neue Kultur des »Abspannes« und der klugen »Akt«- bzw. »Vorhangs«-Gestaltung auf virtuellen Bühnen nachdenken, um uns mit allen Sinnen auf die Situation einstellen zu können und auch notwendige Pausen der Verarbeitung zu ermöglichen. Gar nicht zu reden von der spannenden Frage, wie wir mit Situationen umgehen, in denen Beteiligte unterschiedlichster Kulturkreise in einem virtuellen Raum aufeinandertreffen. Denn: Bisher passt man sich ja der Kultur derjenigen Personen an, die man besucht. Überspitzt formuliert: Welche Kultur dominiert auf der interkulturell besetzten virtuellen Besprechungsbühne? Gibt es eine Multi-Kulti-Inszenierungsform der neuen Arbeitswelt?

Ich denke, das wäre ein eigener Blogbeitrag wert. :)

Leselinks:

Josephine Hofmann

Leitet das Team »Zusammenarbeit und Führung« und forscht zum Thema Führungskonzepte und flexible Arbeitsformen. Bloggt am liebsten im Zug und nach inspirierenden Veranstaltungen und Begegnungen.

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Kategorien: New Work / Connected Work
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