Die Zustellbranche gehört zu den großen Gewinnern der Corona-Krise. In der Krise hat die Branche ihre »Systemrelevanz« unter Beweis gestellt und damit sicherlich auch einen immensen Imagegewinn davongetragen, doch altbekannte Probleme werden damit nicht plötzlich aus der Welt geschafft. Nach wie vor fallen täglich große Kolonnen an dieselbetriebenen Fahrzeugen in deutsche Innenstädte ein und tragen dadurch ihren Teil zur Luftverschmutzung und Verkehrsproblematik bei. Hinzu kommt eine verstärkte Nachfrage nach Online-Produkten im Privatbereich, was aktuell eine deutliche Erhöhung des Zustellverkehrs in dichtbesiedelten Misch- und Wohngebieten zur Folge hat. Möchte man auch für die Zukunft gerüstet sein, müssen neue Logistikkonzepte her.

Die Zeit ist reif für neue Zustellkonzepte

Eine Abschwächung des Logistik-Booms ist auch für die Zeit nach Corona nicht in Sicht. Die angestoßenen Prozesse werden sich nur noch weiter verstetigen, schließlich haben die Menschen in der Krisenzeit die Vorzüge des E-Commerce schätzen gelernt. Mehr Waren an Privatempfänger bedeuten für die Lieferdienstleister eine höhere Empfängerdichte und damit wiederum eine höhere Inanspruchnahme des Straßenraumes. Verkehrsteilnehmer, Anwohner und Logistiker finden sich in einer Konkurrenzsituation um die Verkehrswege wieder. Eine Möglichkeit, diese Situation zu entschärfen, ist die Auslieferung von Waren auf der sogenannten »Letzten Meile« mit dem Lastenrad. Bei dieser Zustellform werden Waren (z.B. Pakete oder Paletten) in einem innerstädtischen Depot (sogenannte Micro-Hubs) auf elektrisch betriebene Lastenräder umgeschlagen und zum Endkunden geliefert. Neben eingesparten Emissionen liegt ein wesentlicher Vorteil darin, dass alle für den Radverkehr geltenden Regelungen auch für das Lastenrad Anwendung finden: für den Radverkehr freigegebene Einbahnstraßen können in beide Richtungen befahren werden und auch das Abstellen auf dem Bürgersteig ist rechtlich erlaubt. Ob sich bei steigendem Lastenradaufkommen hieraus in absehbarer Zeit neue Konflikte entwickeln werden, bleibt abzuwarten.

Herausforderung Lastenradlogistik

Bislang fristet die Lastenradlogistik noch ein Nischendasein, wofür sich eine Vielzahl an Gründen heranziehen lässt. Z.B. wäre da die Tatsache, dass sich mit dem Einsatz von Lastenrädern der komplette Logistikprozess verändert, da Micro-Hubs einen zusätzlichen Warenumschlag voraussetzen. Gravierender ist jedoch die Tatsache, dass die heute verfügbaren Modelle häufig noch nicht die Bedürfnisse der Logistiker hinsichtlich Transportvolumen, Antriebsleistung, Größe oder Wartungsaufwand erfüllen. Die Hersteller haben mittlerweile reagiert und bieten robustere und flexibel einsetzbare Modelle für den Einsatz in der Lastenradlogistik an, die bisher aber nur in geringer Stückzahl produziert werden. Das Wachstum des Markts wird sich dadurch aber nicht langfristig aufhalten lassen. Ist der breite Erfolg der Lastenradbelieferung auf der letzten Meile also nur noch Formsache? Nicht ganz.

Eng, enger, Radweg

Die auf den Markt drängende neue Generation an optimierten, praxistauglichen Lastenradmodellen sieht sich mit der tristen Realität bestehender Straßeninfrastrukturen konfrontiert. Auf verengten Radwegen ist meist kein Überholen möglich. Poller oder Bordsteinabsenkungen und holprige Straßenbeläge sorgen dafür, dass Lastenräder ihre Vorteile auf der letzten Meile kaum ausspielen können. Laut einer im Oktober 2020 vom ADAC veröffentlichten Untersuchung zu Radwegbreiten in 10 deutschen Landeshauptstädten erhalten 87 von 120 gefahrene Strecken das Testergebnis »ausreichend« oder darunter. Lediglich 17,5 Prozent aller gefahrenen Routen erhalten für deren Radwegbreiten das Qualitätssiegel »gut« oder »sehr gut«. Auch wenn viele der betrachteten Strecken für die Nutzung mit einem herkömmlichen Fahrrad noch geeignet sind, erfüllen sie kaum die höheren Anforderungen für die Lastenlogistik.

Maßnahmen zur Förderung der Lastenradlogistik dauerhaft umsetzen

Für eine zukunftsweisende innerstädtische Logistik mit Lastenrädern ist es notwendig, die Ehrfurcht vor dem »Heiligtum Auto« und seinen Interessensvertretern abzulegen. Dies kann auch bedeuten, dem Motorisierten Individualverkehr (MIV) Fahrspuren zu entziehen und diese dem Radverkehr zu übertragen. Sogenannte »Pop-up-Radwege« haben sich in jüngster Zeit als vielversprechender Ansatz erwiesen, doch werden diese mit Verweis auf den sich annähernden Winter (»Da nutzt die ja sowieso keiner mehr.«) wieder für den Autoverkehr freigegeben. Weitere Maßnahmen wie die Einführung von durchgängigen Tempo-30-Zonen, einer Citymaut oder die Umwidmung von Parkflächen im Innenstadtbereich existieren in der Theorie, werden aber vor allem im europäischen Ausland umgesetzt. Gerade das Thema Fläche ist eng verknüpft mit dem Erfolg von Lastenradlogistik und dies nicht nur in Form von angemessenen Radwegbreiten. Die innerstädtischen Umschlagdepots benötigen Flächen, die von den Kommunen bereitgestellt oder privat angemietet werden müssen.

Der (Rad-)weg in die neue urbane Logistik

Der Weg hin zu einer angemessenen Radweginfrastruktur und somit auch dem breiten Einsatz von Lastenradlogistik in deutschen Innenstädten ist lang und steinig. In unserem Forschungsprojekt »SmartRadL« wird die effiziente Nutzung des Transportmittels (Lasten)Rad in deutschen Innenstädten erforscht. In diesem Projekt geht es darum, eine lastenradspezifische Tourenplanungssoftware im Kontext der innerstädtischen Lastenradlogistik zu entwickeln. Primäres Ziel ist es dabei, Lastenradlogistikern eine Software mit an die Hand zu geben, die stadträumliche Hindernisse (z. B. Steigungen, Bordsteine) bei der Routenplanung berücksichtigt und damit die Wirtschaftlichkeit des Lastenradeinsatzes auf der letzten Meile verbessert.

Radwege dienen eben nicht nur dem bloßen Freizeitvertreib oder werden bewusst installiert, um Autofahrer zu verärgern. Ganz im Gegenteil können sich Radwege bei angemessener Verfügbarkeit und Ausgestaltung zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor in Form von Transportwegen für Personen auf deren Weg zur Arbeit und Warenströmen auf dem Weg zum Endkunden entwickeln. Ach ja, gesund und umweltfreundlich ist das Transportmittel (Lasten)Rad obendrein ja auch noch!

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Steffen Bengel

Studierter Humangeograph mit Vertiefung Geoinformatik, nunmehr Projektleiter am Fraunhofer IAO. Inhaltlich ist Steffen stark interessiert an den Themen Logistik und Mobilität, insbesondere dem Bereich Fahrradmobilität. In der Freizeit widmet er sich hauptsächlich seinem Mountainbike.

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