Krebstherapien, die Frauen seltener heilen als Männer; Nahverkehrssysteme, in denen weite Pendelstrecke über kurze Versorgungswege gestellt sind; oder Stimmerkennungssysteme, die auf weibliche Stimmen weniger zuverlässig als auf männliche Stimmen reagieren – wenn es nach den großen europäischen und deutschen Forschungsförderern geht, soll es all das nicht mehr geben.

Geschlechteraspekte als Kriterium für die Vergabe von Fördermitteln

Das Geschlecht als inhaltliche Dimension von Forschungs- und Innovationsprozessen ist in den letzten Jahren immer stärker in den Vordergrund gerückt. Vorläufiger Kulminationspunkt dieser Entwicklung ist die stärkere Berücksichtigung der Geschlechterdimension bei der Vergabe von Fördermitteln. Die Europäische Kommission hat im Rahmen ihres maßgeblichen Forschungsrahmenprogramms Horizont Europa verpflichtend gemacht, dass Fördermittelanträge Ausführungen zur Berücksichtigung von Geschlecht beinhalten. Die DFG folgt dieser Entwicklung und erwartet seit letztem Jahr ebenfalls Ausführungen zur Geschlechterdimension von Forschungsvorhaben, soweit diese inhaltlich einschlägig ist. In ihrem Koalitionsvertrag bekennt sich auch die Bundesregierung zu dem Ziel »[…] Geschlechtergerechtigkeit und Vielfalt künftig in allen Förderprogrammen und Institutionen verankern und durchsetzen.« zu wollen.

Was die Forschungsförderer erwarten

Die weitreichendsten Anforderungen an die Berücksichtigung von Geschlecht in Forschungsvorhaben hat gegenwärtig die EU formuliert. Wer finanzielle Mittel aus dem Horizont-Europa-Programm, dem 95 Milliarden Euro fassenden Budgettopf des weltweit größten Einzelförderprogramms, beantragen will, muss Geschlecht in mehrfacher Hinsicht berücksichtigen:

  • Förderfähig sind öffentlich finanzierte (Forschungs-)Organisationen nur, wenn sie einen Gleichstellungsplan veröffentlicht haben.
  • Bei Punktgleichheit werden Forschungsanträge bevorzugt, die neben anderem ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis in ihrem Forschungsteam, ihren Entscheidungspositionen und ihren Gremien (Beiräte, Aufsichtsorgane) aufweisen.
  • Die Berücksichtigung von Geschlechteraspekten in der Forschung selbst wird als Kriterium zur Bewertung der wissenschaftlichen Exzellenz eines Antrags abgefragt.

Die konkrete, im Rahmen des Forschungsantrags zu bearbeitende Aufgabe lautet: »Describe how the gender dimension (i.e. sex and/or gender analysis) is taken into account in the project’s research and innovation content. If you do not consider such a gender dimension to be relevant in your project, please provide a justification.« Dabei wird es schwierig sein, das Fehlen der Relevanz von Geschlechteraspekten zu rechtfertigen. So ist die DFG als größter deutscher Forschungsförderer der Ansicht, dass Geschlecht in Forschungsvorhaben immer dann methodisch und berücksichtigt werden kann, wenn an oder über Menschen, an Tieren oder über Tiere – oder mit deren Daten oder Materialien geforscht wird.

Wie sich das umsetzen lässt

Forschenden ist gegenwärtig oft noch unklar, dass es bei der Integration von Geschlechteraspekten in die Forschungsinhalte nicht um die Repräsentation von Männern, Frauen oder anderer Geschlechter in Forschungsteams oder Entscheidungspositionen geht. Es handelt sich um ein forschungsmethodisches Herangehen. Um Forschungsteams eine Orientierung zu geben, wie sie Geschlechteraspekte in Forschungsanträgen angemessen berücksichtigen können, haben wir eine Handreichung hierzu entwickelt. Die Handreichung zur Berücksichtigung der Gender-Dimension in Horizont-Europa-Anträgen wurde in einer Arbeitsgemeinschaft von Fraunhofer-Forschenden auf Initiative des Fraunhofer-EU-Netzwerks entwickelt und kann unten heruntergeladen werden.

Treten Sie mit uns in Kontakt!

Für Feedback zur Handreichung und zum wissenschaftlichen Austausch über die Integration von Geschlechteraspekten in Forschungsvorhaben, treten Sie gern mit uns in Verbindung. Wir streben danach, die Handreichung für Sie so nutzungsfreundlich wie möglich zu gestalten!

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Clemens Striebing

Clemens forscht am Center for Responsible Research and Innovation des Fraunhofer IAO über Organisationskulturen und Diversity in Forschungs- und Entwicklungsprozessen. Er ist überzeugt, dass es die Reibungen zwischen unterschiedlichen Sichtweisen sind, die zu sozialen Innovationen führen.

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Kategorien: Innovation, Mensch-Technik-Interaktion, Nachhaltigkeit
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