Corona ist vorbei, zumindest fühlt es sich mit Blick auf die Nachrichtenlage und die öffentliche Aufmerksamkeit so an. Die Ukraine- und die Klimakrise haben sich deutlich in den Vordergrund geschoben und beherrschen die Nachrichtenlage. Nicht wenige Arbeitgeber haben daher mit dem Ende der Sommerpause damit begonnen, in der Arbeitswelt das »Neue Normal« (wenn auch in Krisenzeiten und mit einem gewissen Restrisiko in Bezug auf ein mögliches Aufflammen der Pandemie im Winter) in der Gestaltung ihrer Arbeitswelten umzusetzen. Ausgestattet mit Betriebsvereinbarungen und mehr oder minder strikten Regeln, wieviel von wo aus gearbeitet wird. Allein: Der große Strom der Mitarbeitenden zurück ins Büro – er findet vielerorts nicht statt. Auslastungs- und Belegungsquoten von 10 – 20 Prozent sind keine Seltenheit, vorausgesetzt, die Tätigkeit und der Digitalisierungsgrad lassen dies zu und der Arbeitgeber setzt auf Freiwilligkeit.

Roll-Back-Strategien in verschiedensten Ambitionsstufen

Nicht wenige Arbeitgeber fackeln ein kleines Feuerwerk an »Roll-Back«-Aktivitäten ab. Dedizierte Budgets für die Teams, um die Termine etwas aufzupeppen. Welcome-Parties für die Gesamt-Mannschaft. After-Work Treffen mit Food-Trucks. Schon fragt sich manche Führungskraft, ob sie eigentlich einen Event-Manager einstellen sollte.

Success desaster der besonderen Art: Die gute Produktivität der Corona-Jahre erschwert die Argumentation

Wir sind also konfrontiert mit einem ausgeprägten Beharrungswillen der Mitarbeitenden und deren deutlich konkretisierten Vorstellungen davon, wann sie wo am liebsten arbeiten wollen. Und wir tun uns ja auch nicht so einfach damit, zu erläutern, warum man denn nun bitte wieder kommen sollte. Dafür lief es schlicht zu gut die letzten zwei Jahre – das haben immer wieder viele Studien gezeigt, auch die aus unserem Haus. Produktivität ist in der Regel nicht eingebrochen, sondern stabil geblieben, wenn nicht sogar besser geworden. In so mancher Diskussion in Kundenunternehmen, insbesondere dann, wenn sich Sozialpartner dazu austauschen, kommt es mir manchmal so vor, als wäre die Beweislast faktisch umgedreht worden. Musste sich früher der Mitarbeitende erklären, warum er nicht ins Büro kommen wollte, muss heutzutage der Arbeitgeber intensive Überzeugungsarbeit leisten oder Anreize schaffen, warum man denn nun bitte kommen möge. Beides erscheint nicht wirklich adäquat. So formulierte unlängst ein Projektpartner pointiert: »Früher hat sich unser Leben nach der Arbeit gerichtet. Heute muss die Arbeit zum Leben passen«.

Es mehren sich diffuse Befürchtungen

Und so nehme ich auch zunehmend formulierte Befürchtungen wahr. Viele Unternehmenslenkende, HR-Verantwortliche und Führungskräfte fragen sich, wie das denn eigentlich weitergehen kann und wird, und was das letztlich mit so wichtigen Themen wie Bindung, Motivation, Wissenstransfer und Innovationskraft »macht« und damit mit der Gesamtperformance. Auch unsere letzten Studien haben hier durchaus bemerkenswerte und langfristig potenziell kritische Veränderungen detektiert, interessanterweise umso mehr, je länger die pandemische Ausnahmesituation angedauert hatte. Wissenstransfer und Vernetzung wurden z. B. schwieriger beurteilt, je länger die Pandemie dauerte. Weit verbreitet ist auch die Klage über große Schwierigkeiten, ein angemessenes Onboarding neuer Mitarbeitender zu realisieren. Es scheint also schon mehr dahinter zu stecken als nur starrsinniges Festhalten an alten Führungsprinzipien. Was geht denn nun wirklich »verloren«? Und, um nicht in eine rein defizitorientierte Betrachtungsweise abzugleiten: Was gewinnen wir auch an Neuem, das wir im Neuen Normal ganz zielorientiert nutzen sollten?

Wir brauchen adäquate Messinstrumente und Zeit

Klar wird, dass wir die genannten möglichen Effekte und deren Zusammenhang mit der hybriden Arbeit einer längerfristigen Beobachtung unterziehen sollten. Denn bisher befanden bzw. befinden wir uns eben immer noch in einer Ausnahmesituation, und natürlich haben die letzten zweieinhalb Jahre auch eine Menge an anderen Veränderungen geprägt, die ebenfalls großen Einfluss haben könnten – neue Kundenpräferenzen, veränderte Tätigkeitsstrukturen oder modifizierte Geschäftsmodelle etwa. Wir brauchen gut überlegte Messungen, die den »echten« Effekten hybrider Arbeit auf den Grund gehen und dabei auch vermeiden, eine allzu defizitorientierte Sichtweise anzunehmen. Sich also nicht darauf zu konzentrieren, was schlechter geworden ist, sondern herauszuarbeiten, was anders geworden ist. Um damit dann gestaltungsorientiert umgehen zu können. In der zweiten Phase unseres Innovationsverbundes »Connected Work«, die jetzt in den Startlöchern steht, wollen wir uns unter anderem damit intensiv beschäftigen. Wenn Sie als Organisation Interesse haben sich zu beteiligen, freuen wir uns über Ihre Kontaktaufnahme. Noch gibt es die Möglichkeit, teilzunehmen.

Die »Präsenzrendite« als eine mögliche Gesamtkennzahl

Im Ergebnis könnte unter anderem eine Spezifikation der »Präsenzrendite« entstehen, verstanden als nachweisbarer Gesamteffekt einer guten Mischung aus ortspräsenter und ortsmobiler Arbeit, die die Stärken der gemeinsamen Präsenz vor Ort gezielt nutzt und in den Gesprächen zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite als belastbare Argumentationsgrundlage herangezogen werden kann.

Wir brauchen ein neues Miteinander

Ein Zurück zu früher wird es nicht geben. Wir brauchen einen offenen, zukunftsorientierten Blick. Und eine gesunde Mischung in dem, was Arbeitgeberorganisationen tun, um das Büroleben attraktiv zu gestalten. Ergänzt durch das, was die Kolleginnen und Kollegen bereit sind, an Präsenz für die Sicherung der sozialen Gemeinschaft und der gemeinsamen Leistungsfähigkeit zu investieren. Investieren in Bezug auf Zeit, Geduld, aktive Kommunikation, ausschließliche Konzentration auf das Gegenüber und das gemeinsame Sachthema, die eben keine parallele E-Mail-Bearbeitung und Ablenkung fürchten muss. Auch Zeit für informellen Austausch, gemeinsames Mittagessen und die Möglichkeit, ein angefangenes Thema auch einmal auszudiskutieren und nicht ins nächste Meeting hetzen zu müssen. Wir sollten uns wieder trauen, uns füreinander Zeit zu nehmen. Aber natürlich gehört dazu auch, diese Zeit möglich zu machen und zu überdenken, in welchen Taktungen wir unsere Kalender gestaltet haben. Auch hier haben die letzten zweieinhalb Jahre ihre Spuren hinterlassen. Was sich übrigens auch in zunehmenden Warnungen vor Überlastung zeigt.

Wir müssen Hybridität gemeinsam gestalten. Dabei Unterschiede zwischen den Mitarbeitenden ernst nehmen. Zur Kenntnis nehmen, dass Bedürfnisse sich verändert haben und es auch Beschäftigtengruppen gibt, die immer noch ein wenig mehr fordern können. Wir werden kontinuierlich dazu im Gespräch bleiben müssen, was die Betriebsgemeinschaft und das jeweilige Arbeitsumfeld an sozialem Halt gewährleisten muss, um gemeinsamen Organisationserfolg zu erzielen.

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Josephine Hofmann

Leitet das Team »Zusammenarbeit und Führung« und forscht zum Thema Führungskonzepte und flexible Arbeitsformen. Bloggt am liebsten im Zug und nach inspirierenden Veranstaltungen und Begegnungen.

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Kategorien: Digitalisierung, New Work / Connected Work
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